Ich weiß gar nicht mehr, wie der Streit um Relevanz und Qualität entstanden ist. Aber er steht jetzt im Zentrum der Abgrenzungsdebatte zwischen den so genannten alten Medien und der Blogosphäre als Sprachrohr des Web 2.0. Es geht um Medienkompetenz, um Marktanteile, es geht um Ego und um nicht wenig Geld. Es wird getreten und gebissen, Statistiken werden gefälscht und so ungemein viel Blödsinn verbreitet, dass einem schlecht werden kann.

Wer jetzt allerdings meint, dass ich diesen Aktionismus und gekränkte Eitelkeiten nur bei den Etablierten ausmache, der täuscht sich. Nur zu oft schreiben sich deutsche Blogs mit Verweis auf die große amerikanische Blogszene eine Relevanz herbei, die sich mit der Realität nicht vereinbaren lässt. Die deutsche Blogosphäre ist zwar sicher nicht mehr im Kindergarten beheimatet, aber groß ist sie auch noch nicht. Aber! Was ist Groß, was Relevant und was soll denn bitte die Blogosphäre sein?

Berechtigte Fragen, aber auch Teil einer Strategie. Das ist aber bisher noch nicht thematisiert worden. Thematisiert wird allerdings die Strategie der anderen, der Bösen: der Medien. Sie treten nach unten und erklären alles was mit Blogs zu tun hat manisch für Schund. Daraufhin werden der Journalismus als die Rettung aus diesem subjektivistischen Sumpf hochstilisiert. Die Botschaft ist so profan wie eindringlich: Die Medien haben bisher über das Wichtige gewacht, also ist ihre Arbeit wichtig! Außerdem steht schon im Grundgesetz, dass ihre Arbeit wichtig ist und überhaupt lesen viel mehr Leute Medien, das macht sie auch wichtig. Dass dabei dann häufig die Bildzeitung ausgeklammert wird und dort ganz andere Abgrenzungsstrategien gefahren werden, ignorieren wir jetzt einfach mal. Journalisten haben also gelernt zu entscheiden was wichtig ist und was nicht und deshalb können sie es zum einen auch, zum anderen kann es deshalb auch niemand anderes. So weit, so gekürzt. Es reicht uns polemisch die Strategie der Medien zu untersuchen.

Nun folgend in ähnlicher Weise die Strategie der Blogs: Ein Stichwort würde genügen, aber ich erkläre es dennoch. Relativismus. Von Bloggerseite wird gerne auf die relative Bedeutung von Wichtigkeit, von Relevanz und Qualität verwiesen. Wichtig ist, was wir wichtig finden, also schreiben wir drüber und ihr Holzmedien seid dumm, wenn ihr sagt, dass das nicht wichtig sei. Wichtig ist, was dem Internet gefällt. Auch hier wird Bildzeitung, auf Bloggerseite durch Katzencontent repräsentiert, völlig anders abgekanzelt, aber auch das ignorieren wir hier. Relevanz gibt es wenn schon nur als subjektive Beurteilung und überhaupt kann man uns heterogene Blogosphäre nicht in einen Topf werfen. Bei Medien geht das, eh alle wirtschaftsgesteuert. Charts und Rankings sind irrelevant, weil es da ja drauf ankommt, welche Daten man verwendet und macht ja eh jeder nur so, dass seine Freunde und er selbst ganz oben steht.

Man könnte diesen Streit also philosophisch betrachten und würde einen Streit beobachten, zwischen konservativen Metaphysikern und Werteaposteln auf der einen Seite, Relativisten und verbrüderten Solipsisten auf der anderen Seite. Man könnte jetzt Fehler in den Argumentationsmustern betrachten und so versuchen eine dritte Möglichkeit zu finden um Qualitätsmaßstäbe zu finden. Genau das möchte ich im folgenden tun. Allerdings sollen die folgenden Zahlen nicht als der Wahrheit letzter Schluss gedacht werden, sondern als ein Vorschlag. Ein Vorschlag um wieder bewerten zu können. Damit meine ich vor allem sich selbst, denn ich werde diese Rechnung, die ich mir überlegt habe, nicht verwenden um eine noch tollere Top-Liste zu erstellen, als die eh schon aller tollsten, die man so kennt. Ich habe diese Rechnung vor allem entwickelt, um meine eigenen Projekte besser gewichten zu können.

Warum aber dieses Gewichten, mag wieder jemand fragen, man will doch nur bloggen. Könnt ihr gerne, müsst der Rechnung auch nicht folgen, aber daraus gleich eine Wahrheit zu schustern, dass Gewichten falsch ist, bringt euch in wirklich widrige Argumentationslagen, in die ich nur vorstoßen würde, wenn ich diese Qualitätsmerkmale als Laken Christi über alle Ungläubigen stülpen würde. Ich bin anders vorgegangen.

Ich habe vor allem zwei meiner Seiten miteinander vergleichen wollen. Ich wollte herausfinden, wie denn die verschiedenen Themen, die verschiedenen Konzepte beim Leser ankommen. Wie Relevant sie sind. Ich habe zum einen meinen Seo Watchblog genommen und zum anderen die Endlosrekursion. Beides einigermaßen neue Projekte, beide schon recht gut angenommen. Mit dem Seo Watchblog habe ich vor einiger Zeit einen Coup gelandet, indem ich über einen berühmten Teeniestar geschrieben habe und so kommen ungefähr 1000 Besucher am Tag vorbei. Die Endlosrekursion hat deshalb schon einen guten Besucherschnitt von etwa 100, weil viele Leser meines früheren Onezblogs mit mir hier hingewechselt sind.

Also 3000 zu 100 wenn man traditionelle Toplisten anschauen würde. Seo Watchblog irgendwo unter den Top 100 und die Endlosrekursion im oberen letzten Drittel. Aber halt!

Ich habe noch weitere Zahlen zugrunde gelegt und dort vor allem auf die durchschnittliche Verweildauer der Besucher geschaut, denn es ist ja nicht wichtig, wie viele Leute kommen und gleich merken, dass sie hier falsch sind. Ich möchte ja erfahren, wie gut das Webangebot angenommen wird. Da sticht die Differenz ebenso heraus: Endlosrekursion 6 Minuten, Seo Watchblog 0,5 Minuten.

Weiter im Konzept, wiederkehrende, also zufriedene Leser will ich auch noch mit einbeziehen: Endlosrekursion 50 % neue Besucher, also 50 Prozent wiederkehrende Leser und Seo Watchblog mit fast 90 % neuen Besuchern und dementsprechend nur 10 % wirklich interessierten Lesern.

Nun heißt es also zusammenrechnen und das habe ich so gemacht:

Besucherzahlen * Stammleser in Prozent * Besuchszeit in Sekunden

Seo Watchblog: 1000 * 0.1 * 30 = 3.000
Endlosrekursion: 100 * 0,5 * 600 = 30.000

Ich kann also sagen, dass die Endlosrekursion 10 Mal wichtiger ist. Muss aber gleichzeitig Fragen in Bezug worauf? Die Endlosrekursion ist in dieser Rechnung 10 mal wichtiger als der Seo Watchblog, wenn man betrachtet, wie die Texte beim Leser ankommen, wie interessant ist die Seite für die Leser. Nur muss man das nicht wollen. Man kann auch Geld mit seiner Seite verdienen wollen und da sähe die Gewichtung ganz anders aus, bzw. es kommt auf das Einnahmemodell an.

Wie aber bitte habe ich jetzt zum oben genannten Streit Stellung genommen? Nun, ich hoffe gezeigt zu haben, dass eine Bezugsgröße, meist Klicks, nicht genug ist, aber, dass man durch überlegte Kriterien durchaus Relevanzvergleiche anstellen kann. Man muss eben immer fragen, welche Relevanz, welche Qualität man meint. Die Qualität um Klicks auf Werbung zu generieren ist eine andere als dem Leser drei Seiten lange Texte lesen zu lassen und zu untersuchen, ob er lange genug auf der Seite verweilt, oder entnervt nach drei Sätzen wieder abhaut. Qualität kann man bestimmen, auch wenn man Qualitätskriterien durchaus anzweifeln kann. Es kann einem auch Qualität ganz egal sein, nur sollte man dann nicht unbedingt so unvorsichtig sein und Qualität als nicht-existent anzunehmen, weil man selbst damit nichts anfangen kann.

Ich weiß nicht ob dieser Artikel jetzt Relevanz findet, Kommentatoren mir meine Qualitätskriterien um die Ohren hauen werden, oder er einfach ignoriert werden wird. Ich weiß allerdings, dass ich mit diesen Grundüberlegungen eine besseres Werkzeug an die Hand bekommen habe, um künftig meine verschiedenen Webseiten besser einzuordnen. Ich frage einfach, was soll diese Seite können. Kann sie das?

Das sollten die Medien auch tun. Sie sollten sich fragen, was sie eigentlich tun sollten und ob sie das real umsetzen. Blogs genauso, es ist wohl kaum das Ziel eines Bloggers die Medien abzulösen, deshalb muss er sich fragen, was dann sein Ziele ist und ob er auf dem richtigen Weg ist, oder nicht. Nehmt bitte nicht alle jetzt die obige Schablone, sondern überlegt euch ganz genau, welche Kriterien ihr herbeizieht, wenn ihr euch mit euren Zielen abgleichen wollt.

Kommentare

Hallo,
ich finde deinen Ansatz zur Frage nach der Relevanz sehr interessant.
Wenn ich selbst ein Blog führen würde, läge mein persönlicher Schwerpunkt aber eher in der Diskussion mit den Lesern. Also müßten meiner Meinung nach auf jeden Fall noch die durchschnittliche Zahl der Kommentare bzw. Trackbacks berücksichtigt werden.

Aber auf jeden Fall ist dein Modell schon mal eine Verbesserung zum üblichen Schielen auf Pageimpressions und Visits.

Das Problem bei den kommentaren ist, dass man mit einigen Themen unglaublich viele Kommentare bekommen kann und ich dem eben nur eine sehr geringe Relevanz zusprechen würde. Schau mal hier, dann weißt du worüber ich spreche. Das würde das ganze doch sehr verfälschen.

Im Ansatz gebe ich dir aber Recht, das ist kein perfekter Versuch, sondern nur eine Richtungsweisung.

ok, ich verstehe was Du meinst.
Man sollte dabei natürlich die ganzen Troll- und „Me too“-Kommentare erst rausfiltern und nur solche Kommentare werten, die die Diskussion thematisch weiterbringen.

Zu guter Letzt ist der ganze Streit nur eine Frage der Aufmerksamkeitsökonomie. Jeder hat halt nur ein begrenztes Zeitbudget und muss seine Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Angebote im Netz und ausserhalb aufteilen.

Ich komme später noch einmal auf diese Diskussion zurück, jetzt nur ein ganz pragmatischer Vorschlag. Das Relevanzmaß, was hier diskutiert wird, könnte die Kommentare dadurch berücksichtigen, dass neben der Zahl auch die durchschnittliche Länge des Einzelkommentars berücksichtigt würde.

Du betrachtest drei Größen:

Absolute Besucherzahl: Die sagt, da hast du völlig recht, über Relevanz erst mal gar nichts.

Wiederkehrer: Das sind die Leute, die tatsächlich an dem, was in dem Blog steht, grundsätzlich interessiert sind nicht wegen eines konkreten Themas. Die auf die Themen gespannt sind, die der Blogger besetzt, die sich also in ihren eigenen Themen vom Blogger beeinflussen lassen.

Verweildauer: Wie stark beschäftigt sich der Leser mit dem, was ich schreibe?

Interessant wäre, die Verweildauer auch derer zu berücksichtigen,die nur einmal kommen: Wenn ich ein Thema suche undes auf deinem Blog finde und dann auch durchlese, ist das was anderes als wenn ich ausversehen auf deine Seite gekommen bin und gleich wieder wegklicke. Da bringen dann auch „Einmalleser“ Relevanz. Auf diese Weise wären dann auch die Wiederkehrer berücksichtigt, die technisch nicht erkannt werden können.

Weitere Größen,die interessant wären, sind die Zahl der Klicks auf der Seite, durchschnittliche Verweilzeit auf jedem Thema, Zahl der Kommentare, Länge der Kommentare.

Aus all dem würde ich aber nicht eine Relevanz-Zahl berechnen, sondern eine Zusammenschau machen.

Aber: Das kann einen auch in ganz falsche Richtungen bringen. Ich habe derzeit z.B. die größten View- und Kommentarzahlen, wenn’s um das Thema Blogosphäre geht. Soll ich mehr darüber schreiben? Auf keinen Fall, das wird meine Relevanz langfristig nicht erhöhen, weil das außerhalb der Blogosphäre niemanden interessiert, und Leute, die dieser ganzen Nabelschau distanziert gegenüber stehen, nur abschreckt. Also muss ich meine Neigung, von vielen gelesen und als relevant betrachtet zu werden, mit Geduld ausstatten. Ich hab mir vorgenommen, über reine Blogosphären-Themen nicht mehr zu schreiben, statt dessen an der Qualität, der Lesbarkeit und der Tiefe der anderen Themen zu arbeiten.